Schwingenmauser und Zugverhalten von Entenvögeln,
mit Fokus auf die Schnatterente Anas strepera
(Dissertation von Andrea Gehrold)
(Dissertation von Andrea Gehrold)
(Die nachfolgende wissenschaftliche Arbeit steht Ihnen hier als PDF zur Verfügung)
Zu Beginn meiner Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für Ornithologie, Vogelwarte Radolfzell, war mir bereits klar, dass ich meine Feldstudien im Ismaninger Teichgebiet nordöstlich von München durchführen wollte. Dieses Teichgebiet ist Teil des Ramsar- und EU-Vogelschutzgebiets „Ismaninger Speichersee mit Fischteichen“ (ISF, Abb. 1), das europaweit zu den bedeutendsten Mauserplätzen für Wasservögel zählt. Es ist im Sommer Anlaufpunkt für 50.000 – 100.000 Wasservögel, die hier alljährlich die kritische Zeit der Schwingenmauser (= Erneuerung der Flugfedern) verbringen (Köhler & Köhler 2009 a, b).
Im Speziellen sollte untersucht werden, wie sich Wasservögel an ihre extreme Form der Schwingenmauser anpassen. Denn tatsächlich werfen Enten, Gänse, Schwäne, aber auch Taucher und die meisten Rallenarten einmal im Jahr, nach der Brutsaison, alle alten Flugfedern gleichzeitig ab und sind dann für mehrere Wochen pro Jahr flugunfähig (Abb. 2). Während dieser Zeit sind sie verständlicherweise in ihrer Mobilität stark eingeschränkt und können bei Nahrungsknappheit, Angriffen durch Räuber oder menschlichen Störungen nicht großräumig auf ein anderes Gewässer ausweichen. Die Wahl eines geeigneten Mausergewässers spielt also eine ausschlaggebende, wenn nicht sogar überlebenswichtige Rolle, und sollte nun abhängig von verschiedenen Gewässer-charakteristika auf dem artspezifischen Niveau untersucht werden (Kapitel 1).
Zudem ist die Flugunfähigkeit mit physiologische Anpassungen verbunden (z. B. Fox & Kahlert 2005). Ob jedoch auch eine vorprogrammierte Reduzierung des Körpergewichts bzw. der Fettreserven dazuzählt (Portugal et al. 2007), oder ob die Gewichtsentwicklung während der Mauser vor allem von den lokalen Gegebenheiten abhängt (Fox et al. 1998), ist fraglich. Beide Hypothesen konnten am ISF anhand der langjährigen Datenaufnahme zur Gewichtsdynamik mausernder Schnatterenten Anas strepera evaluiert werden (Kapitel 2).
(Kapitel 2).
Schließlich ermöglichte die Markierung Ismaninger Schnatterenten mit Schnabelsätteln und GPS-Satelliten-sendern (Abb. 2 und 3) sowie die Zuhilfenahme von Beringungs- und Wiederfunddaten (EURING-Datenbank) eine Analyse der individuellen Zugstrategien während der Herbst- und Wintermonate (Kapitel 3).
(Kapitel 3).
So konnten neue Einblicke darüber erlangt werden, wie Entenvögel auch während anderer Lebensstadien geeignete Habitate finden, obwohl doch gerade Binnengewässer nicht nur in Größe und räumlicher Verteilung, sondern auch oft in ihrer saisonalen Verfügbarkeit limitiert sind (z.B. durch Austrocknung oder die Bildung einer Eisdecke).
Kapitel 1: Habitatnutzung während der Schwingenmauser
Die bisherigen Erkenntnisse (z. B. Salomonsen 1968, Köhler 1991) legen nahe, dass Wasservögel – gerade wegen der kritischen Phase der Flugunfähigkeit – einen gesonderten „Mauserzug“ zu solchen Feuchtgebieten unternehmen, die durch Nahrungsreichtum und Störungsarmut geprägt sind. Darüber hinaus wollte ich herausfinden, ob sich einzelne Arten während der Schwingenmauser in ihren Ansprüchen und in ihrer Anpassungsfähigkeit unterscheiden. Die Analyse zeigte, dass sich die Habitatwahl von Nahrungsspezialisten (Schnatterente und Kolbenente Netta rufina) als auch Nahrungsgeneralisten (Reiherente Aythya fuligula, Tafelente A. ferina, Blässhuhn Fulica atra) nach dem Nährstoffgehalt der einzelnen Mauserteiche richtete (Gehrold 2013, Gehrold in Vorber.). Dies deutet generell auf eine aktive Auswahl geeigneter Nahrungsressourcen hin. Während Schnatterenten und Blässhühner außerdem seichtere, störungsärmere Teiche bevorzugten, zeigte sich bei den Tauchentenarten keine solche Präferenz. Allerdings ist es wahrscheinlich, dass auch diese Arten auf tieferen, durch Wassersportaktivitäten geprägten Gewässern in ihrer Habitatnutzung beeinflusst werden.
Interessanterweise scheinen Individuen bei der Habitatwahl auch auf bereits erworbenes Wissen zurückzugreifen. So konnte bei markierten Schnatterenten (Abb. 2, 3) beobachtet werden, dass nicht nur eine Vielzahl der Vögel in den Folgejahren an den angestammten Mauserplatz zurückkehrte, sondern dass auch vor Ort größtenteils die bereits bekannte Mauserteiche gewählt wurden (Gehrold 2013, Gehrold in Vorber.).
Kapitel 2: Gewichtsdynamik während der Schwingenmauser
Kapitel 2: Gewichtsdynamik während der Schwingenmauser
Neben der Habitatwahl wurden physiologische Anpassungen an die Flugunfähigkeit, speziell die Gewichtsdynamik mausernder Schnatterenten, in neun Studienjahren am ISF untersucht (1979-1985: Peter Köhler & Team, 2010-2011: A. Gehrold). Dafür wurden insgesamt 890 männliche und 278 weibliche Schnatterenten in Schwimmreusen gefangen und vermessen (Abb. 4). Es zeigte sich, dass sowohl Männchen als auch Weibchen ihr Gewicht während der Mauser durchaus aufrechterhalten können. Tatsächlich war bei den Männchen nur in 1 von 9 und bei Weibchen in 3 von 8 Jahren ein signifikanter Gewichtsverlust zu verzeichnen (Gehrold & Köhler 2013). Eine Gewichtsreduktion während der Mauser kann also nicht zwingend als Anpassung an die Flugunfähigkeit gewertet werden. Die beobachteten Schwankungen in der Gewichtsdynamik einzelner Jahre deuteten vielmehr darauf hin, dass die jeweiligen Umweltbedingungen ausschlaggebend sind.
Darüber
Darüber hinaus scheint die Gewichtsentwicklung mausernder Weibchen zum Teil mit der vorhergehenden Investition in das Brutgeschäft zusammenzuhängen. Gerade erfolgreich brütende (und folglich später mausernde) Weibchen scheinen zu Beginn der Flugunfähigkeit über geringere Körperreserven zu verfügen. Sie sind daher besonders auf Mausergewässer angewiesen, die auch noch spät in der Saison vorteilhafte Bedingungen bieten (Gehrold & Köhler 2013).
Kapitel 3: Wegzug in Herbst- und Überwinterungsgebiete
Kapitel 3: Wegzug in Herbst- und Überwinterungsgebiete
Nach Abschluss der Schwingenmauser folgt der Zug zu den Herbst- und Überwinterungs-gebieten. Dabei ist zu erwarten, dass die Herbstmonate u. a. auch dazu genutzt werden, körpereigene Reserven für die nahrungsarme Überwinterungsphase aufzubauen. Allerdings scheint es bei hochspezialisierten Vogelarten (wie den Wasservögeln) unwahrscheinlich, dass die ertragreichsten Nahrungsgründe stets auf direktem Weg liegen. Tatsächlich konnte für die mit Schnabelsätteln oder Satellitensendern ausgestatteten Schnatterenten nachgewiesen werden, dass die individuellen Herbstzüge in fast alle erdenklichen Richtungen erfolgen (bzgl. Flugbewegungen im Süddeutschen Raum siehe Abb. 5; bzgl. weiträumigerer Flugbewegungen siehe Gehrold et al. 2014).
Da nord-
Da nord- und ostwärts gerichtete Herbstzüge die Enten in Gebiete führen, die durch lange Frostperioden kaum geeignete Überwinterungsbedingungen bieten, lässt sich vermuten, dass solche Bewegungen einen eigenständigen Migrationstyp darstellen. Diese Hypothese wurde durch die Ringfundanalyse dreier Schnatterentenpopulationen untermauert (S-Deutschland, England, W-Russland). Die Ringfundanalyse zeigte, dass beide Geschlechter und alle Altersklassen multidirektionale Herbstwanderungen unternehmen. Diese Herbstzüge verliefen teilweise unabhängig von der darauffolgenden Migration in Richtung der endgültigen Überwinterungsgebiete (Gehrold et al. 2014). Obwohl es weiterer Studien bedarf, um die angesteuerten Gewässer genauer zu charakterisieren, zeigen die Ergebnisse deutlich, dass das individuelle Zugverhalten bei Schnatterenten – aber vermutlich auch bei anderen Arten (s. Hofer et al. 2010, Gourlay-Larour et al. 2012) – äußerst flexibel sein kann.
Zusammenfassung
Zusammenfassung
Die vorliegenden Resultate bieten neue Erkenntnisse zur hochspezialisierten Habitatnutzung von Wasservögeln. Mit lokalem Bezug konnte gezeigt werden, dass die Auswahl geeigneter Mausergewässer durch eine schnelle Bewertung der aktuellen Umweltbedingungen, aber womöglich auch durch bereits erworbenes Wissen, begünstigt wird. Nicht zuletzt dient eine gezielte Habitatwahl dazu, die körperliche Verfassung aufrecht zu erhalten, was auch für zukünftige Phasen des Jahreszyklus (bzgl. Überleben und Reproduktion) von Bedeutung ist. In Bezug auf großräumige Bewegungen, scheint eine erhöhte Flexibilität es den Vögeln zu ermöglichen, geeignete saisonale Habitate zu entdecken und nutzen zu können. Anhand dieser Ergebnisse wird klar, dass sowohl der Erhalt als auch die aktive (Neu-)Gestaltung von Feuchtgebieten entscheidend zum Schutz brütender, mausernder, rastender oder überwinternder Wasservögel beitragen können.
Andrea Gehrold
Danksagung:
Danksagung: Es war mir eine große Ehre den Walter-Wüst-Preis der Ornithologischen Gesellschaft in Bayern e.V. als erste Preisträgerin in Empfang nehmen zu dürfen. Die vorliegenden Ergebnisse habe ich im Rahmen meiner Doktorarbeit an der Universität Konstanz und dem Max-Planck-Institut für Ornithologie, Vogelwarte Radolfzell, in enger Zusammenarbeit mit meinen Betreuern Martin Wikelski, Hans-Günther Bauer und Wolfgang Fiedler erstellt. David Roshier und Lukas Jenni haben ebenfalls als externe Betreuer dazu beigetragen. Mein besonderer Dank gilt Ursula Köhler, Peter Köhler, Karin Haas, Eberhard von Krosigk und allen weiteren Kollegen des Ismaninger-Teams, die mich unterstützt und gefördert haben und mir zudem wichtige Daten zur Verfügung gestellt haben. Durch ihre vielfältige, intensive Datenaufnahme und –auswertung in den letzten Jahren und Jahrzehnten war es erst möglich, die ausschlaggebenden Schwerpunkte in meiner Arbeit zu setzen.
Literatur zum Thema:
Literatur zum Thema:
Literatur zum Thema:
Fox AD, Kahlert J (2005) Changes in body mass and organ size during wing moult in non-breeding greylag geese Anser anser. J. Avian Biol. 36: 538-548.
Fox AD, Kahlert J, Walsh AJ, Stroud DA, Mitchell C, Kristiansen JN, Hansen EB (1998) Patterns of body mass change in three different goose populations. Wildfowl 49: 45-56.
Gehrold A (2013) Wing moult and movement behaviour of anatids, with focus on the European Gadwall (Anas strepera). Dissertation, Universität Konstanz, //kops.ub.uni-konstanz.de
Gehrold A, Bauer H-G, Fiedler W, Wikelski M (2014) Great flexibility in autumn movement patterns of European gadwalls Anas strepera. J. Avian Biol. 45: 131-139.
Gehrold A, Köhler P (2013) Wing-moulting waterbirds maintain body condition under good environmental conditions: a case study of Gadwalls (Anas strepera). J. Ornithol. 154: 783-793.
Gourlay-Larour M-L, Schricke V, Sorin C, L’Hostis M, Caizergues A (2012) Movements of wintering diving ducks: new insights from nasal saddled individuals. Bird Study 59: 266-278.
Hofer J, Korner-Nievergelt F, Kestenholz M, Keller V, Jenni L (2010) Bewegungsmuster von Reiherenten Aythya fuligula und Tafelenten A. ferina im Winter. Ornithol. Beob. 107: 191-202.
Köhler P (1991) Mauserzug, Schwingenmauser, Paarbildung und Wegzug der Schnatterente Anas strepera im Ismaninger Teichgebiet. Orn. Anz. 30: 115-149.
Köhler U, Köhler P (2009a) Saisonale Dynamik und Bestandsentwicklung von mausernden Wasservögeln (Anatidae, Podicipedidae, Rallidae) am „Ismaninger Speichersee mit Fischteichen“. Orn. Anz. 48: 205-240.
Köhler U, Köhler (P 2009b) Bewertung des „Ismaninger Speichersees mit Fischteichen“ 2002-2008 nach Ramsar- und IBA-Kriterien. Orn. Anz. 48: 241-247.
Portugal SJ, Green JA, Butler PJ (2007) Annual changes in body mass and resting metabolism in captive barnacle geese (Branta leucopsis): the importance of wing moult. J. Exp. Biol. 210: 1391-1397.
Salomonsen F (1968) The moult migration. Wildfowl 19: 5-24.